Bernd liebte es, wie alle Kinder in seinem Alter, mit anderen auf der Straße zu spielen, durch das Wäldchen hinter dem Haus zu streifen und Muster in Haselnussstöckchen zu schnitzen. Das Schnitzen hatte er sich selber beigebracht, wenn er manchmal allein unterwegs war. Seine Mutter musste arbeiten, um die Familie zu ernähren. Wie gerne hätte er sich abends an der Schulter seines Vater angelehnt – sein Vater Herbert allerdings war im Krieg … genauer gesagt in Stalingrad. Viele Väter der Kindern in der Schulklasse von Bernd waren gerade nicht da – viele waren im Krieg. In einem Krieg, den ein Mann wollte und dem viele (viel zu viele) Menschen gefolgt sind. Immer wieder gab es Tage an denen andere Kinder sehr traurig in die Schule gekommen sind – oder sie sind gar nicht gekommen. Traurig über die Nachricht, dass ihr Vater nicht mehr nach Hause kommen wird – Bernd hat das damals nicht verstanden – er war ja noch ein Kind.
Bernd hat seinen Vater dann zum ersten Mal gesehen, als er 7 Jahre alt war. Dieser kam eines Tages aus der Gefangenschaft zurück und lief ihm auf der Straße zum Haus entgegen – er hat ihn nicht erkannt. Bernd war mein Vater und sein Vater Herbert, war mein Großvater. Ich hatte das Glück beide gekannt und einen wertvollen Teil meiner Lebenszeit mit Ihnen zu verbringen. Das schätze ich heute sehr. Dieses Privileg haben Wenige gehabt, denn viele Väter sind nicht aus dem Krieg zurückgekehrt … und wenn doch, sind sehr viele, daran zerbrochen.
Ich bin also ein „Kriegsenkel“ – ein Erbe einer vergessenen Generation, wie die Autorin „Sabine Bode“ schreibt. Und ich hatte das Glück einen liebevollen Vater zu haben – einen Vater, der nicht perfekt war – nicht zuletzt deshalb, weil er von seinem Vater wiederum nur das mitbekommen hat, was dieser Ihm geben konnte. Mein Vater hat mir wiederum auch das weitergegeben, was er mir geben konnte -heute bin ich ihm sehr dankbar dafür. Manchmal habe ich Ihn, als ich jung war, dafür abgelehnt und war wütend, dass er mir zum Beispiel nicht zeigen konnte, wie stolz er auf mich war. Später erst konnte ich es an den Tränen in seinen Augen sehen, die er nicht mehr unterdrücken konnte – oder nicht mehr unterdrücken wollte.
Vaterseelenallein
Viele Kinder haben ihren Vater „damals“ nie gesehen und wuchsen ohne „väterliche Herzlichkeit“ als Söhne zu Männern und Vätern heran. Viele Kinder damals hatten mutige und gute Mütter um sich herum – aber eben keine Väter! Viele haben es geschafft gute Väter zu werden und zu sein – viele auch nicht.
Mehr denn je tun wir genau das wieder der Welt, der Gesellschaft, den Familien an. Vaterseelenallein ist ein Wort dafür!
In seinem Buch mit diesem Titel schreibt der Autor Peter Ballnik: „Wenn Menschen kriminell werden, fehlt meist der Vater. 85% der Gefängnisinsassen haben keinen präsenten Vater erlebt“. Das allein sollte schon Grund genug sein, sich der Tragweite der aktuellen Situation bewußt zu werden.
Für die Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf – und es bedarf der Mitwirkung von Frauen und Männern.
Väterliche Herzlichkeit – JETZT!
Neben mütterlicher Zuneigung (von der auch die Mutter lernen muss loszulassen!), brauchen speziell Söhne den Zugang zu guter Männlichkeit – einen Zugang zu der Männerwelt, zu der Sie auch dazugehören dürfen. Für Väter bedeutet das, dass es gut ist wenn Sie und Ihre Söhne, mit anderen Männern zusammen sind und sich in dieser Runde akzeptiert fühlen. Etwa zwischen vierzehn und achtzehn Jahren braucht ein Junge diese Gesellschaft erwachsener Männer, die in Ihm ein Gefühl für Werte wecken und Ihn mit der Welt außerhalb der Familie bekannt machen. Selbst der beste Vater kann seinen Sohn nicht alleine erziehen. Er braucht hierfür vielmehr zusätzlich die Hilfe anderer guter Männer. (Steve Biddulph)
Dein Vater ist der erste Mensch, der Dir beigebracht hat, was es heißt ein Mann zu sein. Er hat dies getan, indem er schlichtweg Dein Vater gewesen ist.
Vater-sein … ein Zugewinn des Lebens
Es braucht mehr denn je eine ganzheitliche, verantwortungsbewusste und authentische väterliche Herzlichkeit – für unsere Gesellschaft, die Wirtschaft, in unseren Familien, die Welt – JETZT! Es braucht präsente Väter, die als väterliches Vorbild ihre Kinder – insbesondere ihre Söhne in ein gutes Mann-sein begleiten und die Vater-sein als Zugewinn ihres Lebens betrachten.
Wer seine Kinder in Ihr Erwachsen-sein begleiten und sie zu ganzheitlichen Menschen entwickeln möchte, muss ein präsenter Vater sein ohne zu unterdrücken. Er muss idealerweise selbst „bevatert“ worden sein, um diese Erfahrungen weitergeben zu können. Er muss, aus meiner Sicht, auf Kompetenzen und Eigenschaften zurückgreifen können wie: Führsorglichkeit, Lob und Grenzen setzen, Fordern und Fördern, necken und Freude teilen, Kraft und Güte, Disziplin und Vertrauen.
Vater-sein, sollte bei allen Herausforderungen der heutigen Zeit – Freude machen, ein Zugewinn sein und das eigene Lernen einschließen. Auch ich war als junger Vater sicherlich nicht der Vater, der ich heute bin. Ich kann aber sagen, dass ich durch meine Lust am Lernen (wie Vater-sein für mich sein kann) und die Lust daran zu wachsen, eine Lebensreise begonnen habe, die für mich noch lange nicht abgeschlossen ist, auch wenn beide meiner Kinder bereits junge Erwachsene sind, die mit beiden Beinen im Leben stehen – carpe diem Vatertag.
Bilder: Eigene Fotos der Ausstellung: „The Mystery of Banksy – A Genius Mind“; Freiburg im Breisgau Mai 2025. / Zitate: Steve Biddulph; Männer auf der Suche, Heyne 09/2003.